Erlebnisbericht von Maximilian Völk

Vom warmen Kinosaal ins kalte Nickelsdorf

Für mich hat alles bei unserer jährlichen Rotkreuz-Grillfeier begonnen. Dort wurde gesagt, dass am Wochenende und in der darauffolgenden Woche mit einem vermehrten Flüchtlingsaufkommen gerechnet wird. Es wurden Listen aufgelegt, in die man sich eintragen konnte. Ein Freund von mir meinte: „Komm, fahr ma da mal hin!“ Anfangs war ich eigentlich skeptisch – aber dann trugen wir uns gemeinsam mit einem weiteren Freund für das Wochenende ein. Nach dieser Erfahrung an der Grenze war es für mich klar, dass das für mich nicht der letzte Einsatz im Zuge der Flüchtlingsbetreuung gewesen ist.

„Sorry Leute, ich muss weg …“

Für mich hat der Einsatz erst richtig begonnen, als die Schnelleinsatzgruppe (SEG) Neusiedl am See das erste Mal alarmiert wurde. Es war die Nacht zwischen 4. und 5. September, kurz vor 24:00 Uhr, und ich war gerade mit Freunden im Kino. Ich bekam einen Anruf unseres Katastrophenhilfs-Kommandanten und innerhalb einer halben Stunde hat sich mein Abendprogramm grundlegend geändert: vom warmen Kinosaal ins verregnete Nickelsdorf. Um genauer zu sein: zur Nova-Rock-Halle. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch gar nicht, was der eigentliche Grund für den Einsatz des SEG Neusiedl war. Auf dem Weg nach Nickelsdorf erfuhr ich ihn. In dieser Nacht wurde mit einem Schub von mehreren Tausend Flüchtlingen gerechnet. Außerdem erfuhr ich, dass nicht nur die Neusiedler SEG alarmiert sei, sondern auch die Schnelleinsatzgruppen von Eisenstadt und Mattersburg.

In Nickelsdorf angekommen, begannen wir sofort mit dem Aufbau der nötigsten Infrastruktur, um solch einen Ansturm bewältigen zu können. Ein Mannschaftszelt, Dieselaggregate, Behandlungsstellen. Die Halle und die Sanitätsbereiche waren glücklicherweise schon bereit. Kurz nach uns trafen auch die Eisenstädter und Mattersburger ein. Als wir die Aufbauarbeiten beendet hatten, widmeten wir uns der Verpflegung und der Kleidung. Wir mussten die Nova-Rock-Halle innerhalb kürzester Zeit von einer Betreuungsmöglichkeit für maximal 50 Leute zu einer Unterbringungskapazität von mehreren Hundert Leuten aufrüsten. Wir begannen damit, die Kleidung noch einmal zu sortieren, um später einen besseren Überblick zu haben. Das Essen, Obst und Weißbrot mit Marmelade, wurde währenddessen auch hergerichtet. Als genug helfende Hände in der Halle waren, ging ich mir den Ambulanzcontainer genauer ansehen, der später auch meinen Arbeitsplatz darstellen sollte. Gemeinsam mit dem anwesenden Arzt sahen wir uns an, was für medikamentöse Möglichkeiten uns zur Verfügung standen. Da wir durch die bereits gesammelten Erfahrungen hauptsächlich mit Fußverletzungen und Erschöpfungserscheinungen rechneten, bereiteten wir uns medizinisch auf solche vor.

Der angekündigte Ansturm blieb nicht aus. In den nächsten Stunden überquerten mehrere Tausend Flüchtlinge die österreichisch-ungarische Grenze bei Nickelsdorf. Nicht alle kamen zur Nova-Rock-Halle. Obwohl es der Anfang der Flüchtlingswelle im September war, verlief die Nacht ohne größere Vorkommnisse.

Hilfsbereitschaft der Bevölkerung

Wenn ich an den Einsatz zurückdenke, gibt es einige Momente, die noch heute Gänsehaut bereiten. Einer dieser Momente war um sechs Uhr am Morgen des 5. September, der Morgen nach dem ersten großen nächtlichen Ansturm. Wir waren immer noch damit beschäftigt, Flüchtlinge, die in der Nacht eingetroffen waren, medizinisch zu versorgen und ihnen Kleidung, vor allem Schuhe, zu geben. Ich war gerade dabei, mich ein paar Minuten auf einer Bank auszuruhen, als ich ein Auto anhalten sah. Eine Dame stieg aus. Sie fragte mich, wo sie Kleider- und Nahrungsspenden abgegeben dürfte. Ich nahm die Spenden entgegen, bedankte mich und brachte sie in die Halle.

Das sollte nicht die einzige Spende bleiben, die uns an diesem Vormittag erreichte. Innerhalb einer halben Stunde war das Feld neben der Halle mit Pkws vollgeparkt. Hauptsächlich über das Radio erfuhren viele von der Situation in Nickelsdorf und entschlossen sich zu helfen. In den nächsten Stunden erreichten uns nicht nur Nahrungs- und Kleiderspenden, sondern auch Zeitspenden. Viele der aus ganz Österreich Angereisten fragten uns, ob sie uns helfen könnten. Binnen etwa einer Stunde hatten wir durch die Spenden unsere Vorräte und Personalstärke vervielfacht. Auch große Unternehmen aus der Region stellten Spenden zur Verfügung. So wurde zum Beispiel von einem Unternehmer mehrere Tausend Liter Wasser in Form von 0,5-Liter-Flaschen gespendet.

An diesen Vormittag, der die Hilfsbereitschaft unserer Region widerspiegelt, werde ich mich noch lange zurückerinnern.

(Erlebnisbericht von Maximilian Völk, in: Tobias Mindler und Sandra Nestlinger: Grenzerfahrungen – Grenze. Flucht. Bewegung. Rotes Kreuz. Burgenland. 2015. Eisenstadt 2016)