Allein die Zahlen sind schockierend: 28 Frauen und Mädchen wurden im Vorjahr in Österreich ermordet, überwiegend von (Ex-)Partnern oder Tätern aus dem familiären Umfeld, seit Jahresanfang 2023 gab es bereits neun Femizide. Um der zunehmenden alltäglichen Gewalt in allen Lebensbereichen, vor allem gegen Frauen, entgegenzuwirken, wurde vom Land Burgenland auf Initiative von Landeshauptmannstellvertreterin Astrid Eisenkopf ein Aktionsplan gegen Gewalt erstellt. Dieser wurde in einem breit angelegten zweijährigen Prozess unter Mitwirkung von mehr als 20 Einrichtungen und zahlreicher Expert:innen entwickelt; eingeflossen sind auch die Ergebnisse einer Jugendkonferenz. Der Aktionsplan listet die bereits bestehenden Beratungs- und Unterstützungsan-gebote auf und enthält konkrete Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt. Er soll auch als Basis für die weitere Arbeit im Bereich der Gewaltprävention im Land dienen. LH-Stv.in Eisenkopf, Landespolizeidirektor Martin Huber und Karin Gölly, Vertreterin des Netzwerks Gemeinsam gegen Gewalt, stellten den Aktionsplan am Freitag, 28. April, vor.
„Opfer sind häufiger Frauen und die Täter sind fast immer männlich“
„Gewalt hat viele Gesichter, nimmt viele Formen an und tritt an vielen verschiedenen Orten auf. Doch die Opfer sind häufiger Frauen und die Täter fast immer männlich. Dies belegen auch aktuelle Zahlen des Gewaltschutzzentrums Burgenland, wonach von den rund 700 beratenen Menschen knapp 80 % weiblich, 90 % der Gefährder*innen männlich sind“, erklärt Eisenkopf. Der Ort des Geschehens ist sehr oft das familiäre und häusliche Umfeld. 2022 wurden in Österreich 28, im laufenden Jahr bereits neun Frauen und Mädchen von Männern ermordet, der Großteil von ihren (Ex-)Partnern, Bekannten oder Familienmitgliedern. „Diese erschütternden Femizide führen uns in dramatischer Art und Weise vor Augen, dass Gewalt gegen Frauen in Österreich leider immer noch an der Tagesordnung steht. Viel zu viele Frauen leben in Beziehungen, die von Gewalt geprägt sind, und müssen um ihr Leben fürchten. Der Aktionsplan gegen Gewalt soll dazu beitragen, dass alle Menschen im Burgenland, allen voran Frauen und Kinder, ein gewaltfreies Leben führen können“, hofft Eisenkopf.
Sicherheits-Fallkonferenzen bei Hochrisikofällen
Die Zahl an Betretungsverboten – 2022 wurden im Monatsschnitt 28 Verbote ausgesprochen, 2021 waren es noch 23 monatlich – belege das Ansteigen von Gewalt im familiären Umfeld, berichtet Huber. Dagegen sei die Zahl an Anzeigen – seit 2018 nur 3 bis 4 pro Monat – wegen Stalkings nur gering: „Die Dunkelziffer in diesem Bereich ist sehr hoch. Meist wird aus Scham von einer Anzeige abgesehen“. Seit dem Vorjahr gebe es auf jeder Polizeidienststelle eine/n Beamten/in, der/die für den Bereich Gewalt in der Familie speziell geschult sei. Seit 2020 könne bei Vorliegen von Indizien häuslicher Gewalt auch eine sicherheitspolizeiliche-Fallkonferenz bei Hochrisikofällen abgehalten werden. Eingeladen werden dazu die Staatsanwaltschaft, das Gewaltschutzzentrum, der Verein Neustart, der Kinder- und Jugendhilfeträger und die Frauenberatungsstelle. In der Konferenz werden solche Fälle analysiert und die besten Lösungen gemeinsam erarbeitet. Im Vorjahr habe es 19 solcher Konferenzen gegeben.
Aktionsplan auf fünf Jahre ausgelegt
Unter Federführung des Referats für Frauen, Antidiskriminierung und Gleichbehandlung und unter Einbindung aller wichtigen im Gewaltschutz tätigen Stellen im Burgenland und vieler Expert:innen aus den Bereichen Frauen, Integration, Familie, Bildung sowie Polizei und Justiz wurde in einem zweijährigen Prozess der „Aktionsplan gegen Gewalt“ erarbeitet, der Basis für Präventionsarbeit und Maßnahmen zur Gewaltvermeidung sein soll. Zur wissenschaftlichen Begleitung wurde auch die FH Burgenland ins Boot geholt.
Vier Lebensbereiche als wesentliche Orte von Gewaltausübung definiert
Vier Lebens¬bereiche wurden definiert, in denen spezifische Formen von Gewalt am häufigsten ausgeübt bzw. sichtbar werden: Familie, Bildungsbereich, Arbeitsumfeld sowie öffentlicher und digitaler Raum. Für jeden Bereich wurden bereits bestehende Maßnahmen aufgelistet und Vorschläge für konkrete weitere Schritte formuliert. Ergänzt wird der Aktionsplan durch Aspekte der Medienarbeit und Vernetzung.
„Effektiver Gewaltschutz braucht Vernetzung“
Im Prozess sei schnell klar geworden, dass Gewaltprävention aufgrund der Vielschichtigkeit von Gewalt nur dann gelingen könne, wenn bereits bestehende Netzwerke noch weiter ausgebaut und die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den verschiedenen Akteur*innen und Institutionen weiter ausgebaut werden, berichtete Gölly. Sie vertritt das seit fast 30 Jahren bestehende Netzwerk „Gemeinsam gegen Gewalt“, dem Vertreter:innen von Behörden, Mitarbeiter:innen von Beratungseinrichtungen und aus dem Gesundheitsbereich angehören.
Gewaltschutzambulanzen sollen ausgebaut werden, Gewaltprävention in Lehrerausbildung einfließen
Im Handlungsfeld „Gewaltschutz in der Familie“ reichen die im Aktionsplan vorgeschlagenen Maßnahmen vom Ausbau der Familienarbeit und Erziehungsberatung über die Schaffung zusätzlicher Sensibilisierungs- und Supervisionsmöglichkeiten für alle Berufe, die im Bereich Gewaltschutz tätig sind, bis hin zum Ausbau von Gewaltschutzambulanzen. Im Bildungsbereich soll Gewaltprävention in die Ausbildung angehender Lehrer*innen und Elementarpädagog*innen einfließen, und es sollen Workshops zum Thema Gewalt durch externe Organisationen (bereits in der Volksschule) oder Selbstverteidigungskurse an Schulen stattfinden.
Kampagnen gegen Gewalt am Arbeitsplatz
Im Handlungsfeld „Gewaltschutz im Arbeitsumfeld“ sind Broschüren und Kampagnen vorgesehen, die von allen für ihre Arbeit gegen Gewalt am Arbeitsplatz genutzt werden können; sie sollen auch Ansprechpersonen und Organisationen sichtbar machen, an die sich sowohl Unternehmen als auch von Gewalt Betroffene wenden können.
Notrufnummern sichtbar machen
Bei „Gewaltschutz im öffentlichen und digitalen Raum“ ist geplant, verstärkt auf Notrufnummern und Anlaufstellen hinzuweisen, u.a. durch Anbringen der entsprechenden Info auf Apothekensackerl sowie durch Kurzanleitungen zum richtigen Einschreiten bei beobachteter Gewalt (etwa in Form von Piktogrammen). Weitere Ideen für den öffentlichen Raum wären eine Telefonbegleitung für einen sicheren Nach-Hause-Weg oder auch der Ausbau der offenen Jugendarbeit sowohl als Streetwork vor Ort als auch online.
Land hat bereits viele Maßnahmen gesetzt
Jede fünfte Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Das Land hat deshalb bereits eine Reihe von wichtigen Maßnahmen gesetzt. 2021 wurde das bislang privat betriebene Frauenhaus gemeinsam mit dem Sozialhaus Oberwart in die KRAGES-Tochter Soziale Dienste Burgenland GmbH eingegliedert. Damit wurde zum einen die nachhaltige Finanzierung sichergestellt, zum anderen auch die hohe Betreuungsqualität dauerhaft gewährleistet. Betroffene Frauen profitieren damit auch vom leichter zugänglichen Angebot professioneller Hilfen.
Frauenberatungsstelle in jedem Bezirk, zwei Männerberatungsstellen
Zudem wurde in jedem Bezirk des Burgenlandes – einzigartig in Österreich – eine Frauenberatungsstelle installiert. Eisenkopf: „Für Frauen, die Hilfe benötigen, ist es enorm wichtig, dass die Hilfe vor der Haustüre liegt und dass die Hilfe unbürokratisch, vertraulich und einfach zugänglich ist“. Die Frauenberatungsstelle Neusiedl am See hat sich auf die Beratung bei sexualisierter Gewalt spezialisiert. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, auch bei den Gefährdern und Gewalttätern anzusetzen. Seit Dezember 2022 gibt es deshalb in Neusiedl/See, neben jener in Oberwart (mit Außenstellen in Güssing und Jennersdorf) eine zweite Männerberatungsstelle im Burgenland, die einen ihrer Schwerpunkte auf Anti-Gewaltarbeit setzt.
Der „Burgenländische Aktionsplan gegen Gewalt“ ist unter folgendem Link abrufbar:
www.burgenland.at/themen/gesellschaft/frauen-maedchen/gewaltschutz/
Pressefoto zum Download: Präsentation „Burgenländischer Aktionsplan gegen Gewalt“_1, _2
Bildtext: LH-Stv.in Astrid Eisenkopf (m.), Landespolizeidirektor Martin Huber und Karin Gölly, Vertreterin des Netzwerks Gemeinsam gegen Gewalt, präsentierten „Burgenländischen Aktionsplan gegen Gewalt“
Bildquelle: Bgld. Landesmedienservice
Hans-Christian Siess, 28. April 2023
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