Die Opfer der Euthanasie
Die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der NS-Vergangenheit Österreichs hat erst begonnen. In Österreich gelangte das Thema Euthanasie 1999 wieder in die Schlagzeilen, als der Fall Heinrich Gross – eines ehemaliger Arzt der "Kinderfürsorgeanstalt(!) Am Spiegelgrund" thematisiert wurde.
Die geistig oder körperlich beeinträchtigten Personen verschwanden quasi über Nacht aus den burgenländischen Dörfern. Ohne größeres Aufsehen wurden sie abgeholt. Die NS Täuschungs- und Verschleierungspolitik ließ die Angehörigen in dem Glauben, es handle sich um medizinische Maßnahmen zum Wohle des Patienten. Kurze Zeit später wurden die Angehörigen in standardisierten Briefen vom plötzlichen Tod des Patienten unterrichtet. Auch die Anstaltspatienten wurden Opfer der staatlich angeordneten Euthanasie.
Die NS-Euthanasie3, die „Ausmerzung lebensunwerten Lebens“, war die erste systematisch geplante Massentötung im Dritten Reich. Entsprechend der sozialdarwinistischen Rassentheorie stellten so genannte „Minderwertige“ und „Ballastexistenzen“ eine ernsthafte Bedrohung des arischen Volkskörpers dar. Eine erste „eugenische“ Maßnahme war das Gesetz vom 14. Juli 1933, das Zwangssterilisationen vorsah.
Im Sommer 1939 begann die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ mit der Tötung von missgebildeten und geistig behinderten Kindern. Am 1. September 1939, mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurde das Programm auf direkten Befehl Hitlers auch auf erwachsene Behinderte ausgedehnt. Diese beiden Termine fallen nicht zufällig zusammen. Mit dem Leeren der Anstalten sollte Raum für die zu erwartenden Verwundeten der Front geschaffen werden. Die Aktion wurde als Chefsache behandelt und direkt aus der Kanzlei des Führers gelenkt. Nach der Adresse der Zentrale in Berlin Tiergartenstraße 4 wurde die Mordaktion „T 4“ genannt.
Der Großteil der Anstaltspatienten des Dritten Reichs wurde in sechs Euthanasie-Anstalten abtransportiert und dort mit Giftgas ermordet. Das Schloss Hartheim in Oberösterreich wurde ab 1940 die Hinrichtungsstätte für Behinderte der „Alpen- und Donaugaue“. Im Zuge der Aktion „T 4“ wurden in den Jahren 1940/41 in Hartheim 18.000 Personen ermordet.
Die Anstaltspatienten wurden per Bahn bzw. mit zwei anstaltseigenen Bussen4 nach Hartheim gebracht. Die Tötungen erfolgten in Gaskammern mit Kohlenmonoxyd-Gas der Firma IG Farben. Anschließend wurden die Toten in einem eigens eingerichteten Krematorium verbrannt und die Asche in die Donau oder in die Traun gestreut.
Nachdem die Mordaktion auch auf Insassen von Pflege- und Altersheime ausgedehnt wurde, konnte die strenge Geheimhaltung nicht mehr aufrechterhalten werden. Proteste – vornehmlich aus der evangelischen und katholischen Kirche – veranlaßten Hitler dazu die Aktion „T 4“ einzustellen. Im Zuge der sogenannten „Wilden Euthanasie“ ging das Töten auf Kinderstationen, und in Heil- und Pflegestationen aber bis 1945 weiter.
Auch im „Mordschloss“ Hartheim ging das Töten weiter. In den Gaskammern von Hartheim wurden im Zuge einer als „T 4 f 13“ bezeichneten Tötungsaktion nicht mehr arbeitsfähige KZ-Insassen und Ostarbeiter aus den Lagern Mauthausen, Dachau und Gusen vergast. Auch etwa 400 österreichische Juden wurden Opfer von Hartheim.
Die Auswahl der Opfer – und damit auch der burgenländischen Opfer der Aktion „T 4“ - erfolgte direkt aus Berlin, wo Quoten festgesetzt wurden. Eine Gruppe von Euthanasieärzten tauchte sodann in den Anstalten auf und ließ sich die Patientendateien aushändigen. Je nach festgelegten Quoten wurde die Anzahl der Patienten für Hartheim ausgewählt. 94 solchen Einrichtungen gab es in Österreich, einige davon auch im Burgenland. Aus Verschleierungsgründen wurden die Patienten vorerst zu „Sammelanstalten“ transportiert. Die ausgewählten Patienten der burgenländischen Institutionen kamen vorerst in die „Grazer Heil- und Pflegeanstalt Am Feldhof“5 um sobald Kapazitäten frei würden, zur Ermordung nach Hartheim weiter transportiert zu werden.
Graz-Feldhof war aber nicht nur eine Zwischenstation für die Burgenländer. Unter den regulären Patienten befanden sich auch einige Burgenländer. Die berüchtigten Euthanasieärzte Dr. Ernst Sorger und Dr. Oskar Begusch waren die Leiter dieser Anstalt und als solche für die Ermordung von 1177 Patienten verantwortlich6.
In die Aktion „T 4“ wurden nicht nur Patienten von Heil- und Pflegeanstalten einbezogen, vielmehr wurden auch burgenländischen Krankenhäuser und kirchliche und privat soziale Einrichtungen heimgesucht. Manche Patienten wurden sogar direkt von zu Hause abgeholt7.
Es ist anzunehmen, dass sich burgenländische Patienten mit psychischen Störungen auch in den nahegelegenen Heil- und Pflegeanstalten von Wien-Steinhof, Mauer-Öhling, Gugging und der Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ – Wien befanden. Unter den Opfern der Euthanasie befanden sich mindestens 11 burgenländische Roma und mindestens 19 burgenländische Juden8.
Stellvertretend für die mehr als 300 Opfer der Euthanasie im Burgenland sei der Fall von O.J. aus Gamischdorf bei Güssing beschrieben. O.J. war Patient einer Pflegeanstalt. Nach einer Selektion wurde er nach Hartheim transportiert und dürfte dort Ende 1940 ermordet worden sein.
Gattin Pauline wurde schriftlich vom „überraschenden“ Tod ihres Gatten in Kenntnis gesetzt, das Todesdatum war angeblich der 31.1.1941. Die Mitteilung kam von einer „Landesanstalt Hartheim“ in Oberösterreich. Als Todesursache war eine Lungenentzündung in Folge einer Grippe angegeben, welche die Verlegung in die „Landesanstalt Hartheim“ aus kriegswirtschaftlichen Gründen notwendig machte. Die sterbliche Überreste wurden eingeäschert und der Witwe empfohlen auf den Nachlass des Getöteten zu verzichten, da
„Versendung wie Herbeiführung eines Entscheides über Zuweisung des Nachlasses mehr Zeit und Kosten verursacht, als der Nachlaß wert ist.“9
Zu dem wurde mitgeteilt, dass der Nachlass durch die notwendige Desinfektion stark beschädigt – und deshalb ohnehin wertlos sei.
Diese Vorgehensweise im Fall von O.J. scheint für Hartheim eher unüblich zu sein, schließlich war man peinlich darauf bedacht, den wahren Todesort zu vertuschen. Deshalb wurde in den Mitteilungen an die Verbliebenen üblicher Weise von einer Nennung des Schlosse Abstand genommen. Die Täuschungsbemühungen des „T 4“-Apparates gingen manchmal gar soweit, dass die Akten der in Hartheim Verstorbenen an oft hunderte km entfernte Euthanasiezentren transferiert wurden, damit die Mitteilung über das Ableben einen möglichst entfernten Poststempel trugen.
Die historische Forschung plagt sich auch bei der Festlegung auf konkrete Angaben über die Höhe der österreichischen Opferzahlen. In Hartheim geht man von ca. 18.000 Opfern der Euthanasie (Aktion - „T 4“) aus und von weiteren 12.000 der Aktion „T 4 f 13“, der Ermordung von arbeitsunfähigen KZ-Insassen, sodass in dem „Mordschloss“ Hartheim ca. 30.000 Personen zu Tode gekommen sind.
Die Zahl der Euthanasieopfer im Burgenland ist mangels geeigneter Quellen zur sogenannten „Wilden Euthanasie“ statistisch kaum fassen. Rechnet man dies Zahl der Gesamtösterreichischen „T 4“-Opfer hoch auf die Bevölkerungszahl des Burgenlandes würde dies eine Opferzahl von mehr als 300 ergeben. Dazu zu zählen wären die burgenländischen Opfer der „Wilden Euthanasie“.
Legende
1Der Ausdruck stammt aus dem Griechischen und steht für „schöner Tod“
2Heinrich Gross hatte als Anstaltsarzt „Am Spiegelgrund“ die Ermordungen mitzuverantworten. Nach einem ersten Freispruch im Jahr 1948 begann Gross 1950 mit der wissenschaftlichen Auswertung der Gehirne der Euthanasie-Opfer. 1968 wurde er Leiter eines „Boltzmann-Institutes zur Erforschung der Missbildungen des Nervensystems“, später gar Gerichtssachverständiger. 1989 mußte er diese Funktionen auf Druck des Wissenschaftsminsteriums zurücklegen. Ende der 90er wurde ein neuerliches Gerichtsverfahren wegen der angeblichen Haftunfähigkeit Gross´ eingestellt
3Bis vor kurzem war der Themenkomplex Euthanasie ein wenig erforschtes Gebiet der NS-Geschichte. In den letzten Jahren entstanden einige Auseinandersetzungen mit einzelnen Aspekten der Euthanasie. In Österreich setzte sich kürzlich der Publizist Tom Matzek mit dem „Mordschloss“ in Hartheim (Tom Matzek, Das Mordschoss. Auf den Spuren von NS-Verbrechen in Schloss Hartheim, Wien 2002) auseinander. Der Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes, Wolfgang Neugebauer, publizierte verschiedene Artikel zum Thema, wobei die Situation in Wien den Forschungsschwerpunkt bildete. Henry Friedländer (Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, Berlin - 1997 dt. Ausgabe) erläutert die Relevanz der Euthanasie – insbesondere in Schloss Hartheim – für die technische Umsetzung des Holocaust.
Publikationen die sich mit den burgenländischen Aspekten der Euthanasie auseinandersetzen gibt es bislang nicht. Als unmittelbare Folge des Projektes „Opferdatenbank“ wurde aber bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit dem Thema der Euthanasie im Burgenland auseinander setzt.
4Zur Verschleierung wurde eigens Tarnfirmen wie die „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ oder die GEKRAT – „Gemeinnützige Krankentransport GmbH“, für die Durchführung der Transporte gegründet.
5vergl. Birgit Poier, Vergast im Schloß Hartheim – die „T 4“-Patienten aus dem „Feldhof“ 1940/41 in: Wolfgang Freidl, Alois Kernbauer, Richard N. Noack, Werner Sauer (Hg.), Medizin und Nationalsozialismus in der Steiermark, Innsbruck 2001
6ebenda S 86 ff
7vergl. Matzek S 99 ff
8Diese im Zuge des Historikerberichts aufgetaucht These wird durch die Tatsache untermauert, dass in Aufstellung der Familiennamen der Opfer von Hartheim etliche aus dem Burgenland bekannte Roma Namen zu finden waren.
9 Widerstand und Verfolgung im Burgenland S 412, DÖW 11 425