Die Verfolgung der jüdischen Burgenländer

Die Lebenssituation der jüdischen Burgenländer änderte sich buchstäblich über Nacht – der Nacht des 11. März 1938. Noch vor der Machtergreifung in Wien hatten erste jüdische Familien das Burgenland verlassen. Aus sicherer Distanz im benachbarten Ausland beobachteten sie den Fortgang der Dinge.

Unter den ersten burgenländischen Verhafteten befanden sich etliche jüdische Mitbürger und unter den 151 Personen des ersten Dachau-Transportes befanden sich ebenfalls bereits 63 Juden.

Bereits Ende März 1938 bekundete der kurzzeitige Gauleiter des Burgenlandes Tobias Portschy die Absicht, die ...

„Agrarreform, die Zigeunerfrage und die Judenfrage mit nationalsozialistischer Konsequenz zu lösen.“ 2

Sein „Lösungsansatz“ lag vorerst in einer rigorosen Anwendung der „Nürnberger Gesetzte“ 3. Anders als im Rest der „Ostmark“ wurde das Gesetzt auch auf jüdische Ehepartner in Mischehen und Abkömmlingen von Mischehen angewendet. Portschy machte sich damit zu einem Vorkämpfer dessen, was als „Endlösung der Judenfrage“ in die Geschichte eingehen sollte.

Am Beginn der gezielten Terror- und Verfolgungsmaßnahmen stand die Erfassung der jüdischen Bevölkerung des Burgenlandes und besonders von deren Vermögen.4 Ziel der portschy´schen Judenpolitik war die „freiwillige“ Auswanderung der burgenländischen Juden - möglichst schnell und möglichst unter Zurücklassung sämtlicher Vermögenswerte. Die burgenländischen Juden waren die ersten, für die ein Auswanderungsbefehl erlassen wurde. Dieser wurde allen ca. 3.800 burgenländischen Juden5 zugestellt. Kamen sie ihm nicht nach, folgte die behördliche Abschiebung. Dabei bediente man sich des Sicherheitsdienstes der SS - dem SD und lokalen Gestapo-Stellen.

Eine wesentliche Rolle bei der Verfolgung der burgenländischen Juden und deren Vermögensentzug spielten die Gestapo-Stellen Eisenstadt und Bruck. Gegen den Leiter des Judenreferates der Gestapo-Leitstelle Wien Kriminalkommissar Koch, die Gestapobeamten Heinrich Knoth, Heinrich Scharff und deren Vorgesetzten und Leiter der Außenstelle Eisenstadt Johann Pöllhuber sowie gegen Alois Hermann von der Gestapo-Stelle in Bruck wurden nach dem Krieg Gerichtsverfahren eingeleitet.

Während anfangs nur wohlhabende Juden zur Ausreise gezwungen wurden, so folgte bereits bald die Ausweisung von allen übrigen burgenländischen Juden. Manchen Gemeinden gingen dies nicht schnell genug. Sie wurden von sich aus aktiv, indem sie „ihre“ Juden über die grünen Grenzen treiben ließen.
Die Juden von Pama und Kittsee wurden am 16. April 1938 nachts aus ihren Betten geholt und an die tschechische Staatsgrenze gebracht, wo man sie mitten auf der Donau auf einem Wellenbrecher aussetzte. Mehrere Tage hindurch wurde die Gruppe zwischen dem Reich, der Tschechoslowakei und Ungarn hin und her geschoben bis die internationale Presse auf den Fall aufmerksam wurde.6 Nachdem eine jüdische Hilfsorganisation eine provisorische Unterbringung auf einem französischen Schleppboot organisiert hatte, dauerte es dennoch mehrere Monate, bis alle 51 Personen ein „sicheres Drittland“ erreichten.7

Juden aus Rechnitz wurden im Niemandsland zwischen dem Reich und Jugoslawien ihrem Schicksal überlassen, ehe eine Ausreisegenehmigung für Kroatien erwirkt werden konnte. Parndorfer Juden wurden bei Mörbisch über die ungarische Grenze getrieben, ähnlich erging es den Juden von Pamhagen.

Die aus dem Burgenland ausgewiesenen Juden, die nicht in der Lage waren, die vorgegebenen Ausweisungsfristen einzuhalten, mussten das Burgenland in Richtung Wien verlassen. Dort wurden sie von der Israelitischen Kulturgemeinde und anderen jüdischen Hilfsorganisationen aufgenommen und betreut. Bereits Ende April/Anfang Mai verließen die Juden von Neusiedl das Land.8 Bis zum 17. Mai 1938 wanderten die ersten 30 Juden von Eisenstadt ab. Mitte Juni befanden sich die Juden von Deutschkreutz, Lackenbach und Rechnitz in der Betreuung der Wiener Kultusgemeinde. Im Juli und August folgte die Abwanderung aus den Gemeinden Frauenkirchen und Kobersdorf. Die Mattersburger Juden verließen im September und die letzten Eisenstädter Juden im Oktober 1938 das Burgenland. Die Zahl der burgenländischen Juden in Wien sprang sprunghaft an: von 799 am 17. Juni auf 1.700 Ende November 1938.9

Am 1. November 1938 meldete der Leiter der Israelitischen Kultusgemeinde von Wien, Dr. Josef Löwenherz, ...

„sämtliche Kultusgemeinden des Burgenlandes (7 größere und 4 kleinere Kultusgemeinden) mit einer jüdischen Bevölkerung am 12.3.1934 von 3632 Seelen (als aufgelöst)“ 10

In Jubelchöre bricht die „Grenzmark-Zeitung“, das Organ des nationalsozialistischen Burgenlandes, Anfang Dezember 1938 aus. Dort ist unter der Schlagzeile „Die Entjudung des ehemaligen Burgenlandes“ zu lesen, dass alle 4000 Juden des Burgenlandes abgewandert seien.11
Tatsächlich befanden sich noch etliche Juden, als „jüdisch Versippte“, „jüdische Mischlinge“, oder „Halbjuden“ bezeichnete Personen bzw. solche, die mit „Ariern“ verheiratete waren im Land. Dies geht aus der Beantwortung des Runderlasses Nr. 549/39 des Reichsarbeitsministers vom Juli 1939 geht hervor.

Auch im Burgenland kam es in der Nacht vom 9./10. November 1938, der so genannten „Reichskristallnacht“, zu Verwüstungen. Marodierende Nazi-Banden zertrümmerten die Einrichtungs- und Kulturgegenstände des Eisenstädter Tempels.12 Dieser Ausbruch blanken Judenhasses ist für das Burgenland umso bemerkenswerter, da wie bereits erwähnt, das Burgenland seit dem 1. November als „judenrein“ galt.
Mit dem Pogrom vom 9./10. November 1938 manifestierte sich ein grundsätzlicher Wandel in der NS-Judenpolitik.

In einer zweiten Phase der Auswanderung wurden die Ausreisen von der im August 1938 von Adolf Eichmann gegründeten „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien gesteuert. Eichmann gestattete begüterte Juden die Ausreise in bestimmte Länder, falls sie auf ihr Vermögen zu Gunsten des Reiches verzichten würden, ein Modell, das auch schon von Gauleiter Tobias Portschy äußerst gewinnbringend angewendet wurde.

Über diese Zwischenstation in Wien gelang bis 31. Dezember 1938 1.286 jüdischen Burgenländern die Ausreise. Bevorzugte Ziele waren die Tschechoslowakei (24,8%), Palästina (20,1%), Ungarn (9,3%), England (7,1%), Italien (6,7%), die USA (6,0%) und Frankreich (5,5%). Tragischer Weise gerieten einige der Exilländer dennoch unter deutsche Herrschaft. Wie viel burgenländische Opfer die Judenverfolgung in Ungarn, der Tschechoslowakei, Italien oder in Frankreich kostete, ist nicht bekannt.13

Mit der Verschärfung der weltpolitischen Lage kurz vor Beginn des Krieges begann auch die Auswanderung zu stagnieren. In dieser Situation schaltete sich noch einmal die Geheime Staatspolizei, Leitstelle Eisenstadt ein, indem der „Beauftragte für die Auswanderung der burgenländischen Juden“ innerhalb der Kultusgemeinde, Eugen Lindenfeld, den Befehl erhielt, die auswanderungswilligen Burgenländer in Wien listenmäßig zu erfassen. Der Zweck der Erfassung lag, laut Bericht der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, darin, die auswanderungswilligen Burgenländer, die keine Möglichkeiten zur Auswanderung besaßen, in Auswanderungstransporte einzureihen. Die dafür erforderlichen Mittel stellte die Gestapo-Leitstelle Eisenstadt zur Verfügung. Dies fiel insbesondere deshalb nicht schwer, da die Gestapo Eisenstadt noch über jene nicht unbeträchtlichen Vermögenswerte verfügte, die den burgenländischen Juden erst kurz davor abgenommen worden waren.14 Infolge gelang es, einen großen Teil der Burgenländer im Rahmen von „illegalen“ Transporten über die Donau nach Palästina zu bringen. Die Organisation von Auswanderungstransporten wurde zusehends schwieriger und kam schließlich vollständig zum Erliegen.

Was ab 1941 folgte ging als „Endlösung der Judenfrage“ in die Geschichte ein. Burgenländische Juden waren von den ersten „Umsiedlungsaktionen“ in den Osten betroffen, wurden in die Gettos Litzmannstadt und Theresienstadt deportiert, in den Gaskammern von Chelmno ermordet, waren Opfer der berüchtigten Einsatzgruppen der SS und landeten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis.

Nach Jonny Moser forderte der Holocaust in Österreich 65.469 Opfer.15 Rund 125.000 jüdische Österreicher retteten ihr Leben durch Flucht ins Ausland, ca. 5.800 österreichische Juden, darunter auch etliche Burgenländer, erlebten in Wien die Befreiung.16
Johannes Reiss schätzt, dass ca. 30% der jüdischen Burgenländer in der Zeit von 1938-1945 den Tod fanden.17 Diese Schätzung wird durch neueste Untersuchungen von Gert Tschögl bestätigt. Im Zuge eines Forschungsprojektes das die namentliche Erfassung der Opfer des Nationalsozialismus zum Ziel hat wurden die Namen von 1.185 Personen aus dem Burgenland ermittelt, die in der Zeit von 1938 bis 1945 den Tod fanden.18

Legende

1vgl. dazu: Gerald Schlag, Der März 1938 im Burgenland und seine Vorgeschichte in: Burgenländische Forschungen Bd. 73 Burgenland 1938, Vorträge des Symposions „Die Auflösung des Burgenlandes vor 50 Jahren“, Eisenstadt 1989, S 96 -111
2Grenzmarkzeitung, 2. April 1938
3Die „Nürnberger Gesetze“ - das sind das Reichsbürgergesetz und das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (Blutschutzgesetz) traten am 24. Mai 1938 offiziell in Kraft (RGBl. I, S 594 vom 20 Mai 1938)
4DÖW 11.292; RGBl I, S 414/1938 - Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden
5Eine Bevölkerungsstatistik gibt für das Jahr 1934 die Zahl von 3.632 jüdischen Burgenländern an. Die „Grenzmark-Zeitung“ vom 4.12.1938 schätzt die Anzahl der burgenländischen Juden von März 1938 auf 4000. Man kann also für den März 1938 von einer jüdischen Bevölkerung von 3800-4000 ausgehen
6Friedrich Wolf verarbeitet die Tragödie in dem Roman: „Das Schiff auf der Donau“
7vgl. Widerstand und Verfolgung S 307 f, Bericht der Times vom 20.4.1938, Neue Züricher Zeitung vom 24.4.1938
8Bgld. Landesarchiv, BH-Neusiedl/See XI-537-1939; Schreiben der Gemeinde Neusiedl betr. Ausstellung des Arbeitsbuches, Jüdische Antragsteller
9Widerstand und Verfolgung S 297
10Widerstand und Verfolgung S 319
11Grenzmarkzeitung, 4.12.1938
12Josef Klampfer: Das Eisenstädter Ghetto, Eisenstadt 1966, Burgenländische Forschungen Bd. 51 S 39 f
13ebenda S 320 aus: Jahresbericht der Agudas Jisroel für die Zeit vom 10.5. - 31.12.1938; das Dokument befindet sich im Privatbesitz von Jonny Moser
14DÖW 13.014; Bericht des Provinzreferates der Israelitischen Kultusgemeinde Wien an Amtsvorstand Emil Engel betreffend listenmäßger Erfassung der burgenländischen Juden vom 2.7.1939
15Nachfolgende Zahlen stammen aus einem Bericht der IKG vom 31.12.1945: Darin wird angegeben, dass 1.576 Personen in deutschen Konzentrationslagern umgekommen sind, 46.791 in Vernichtungslagern getötet wurden, 18 Juden Opfer von Gewaltausbrüchen wurden, 17 Personen im Polizeigewahrsam verstarben bzw. zum Tode verurteilt wurden, 16.692 österreichische Juden in ein später von Hitler annektiertes Land emigrierten und in Vernichtungslagern getötet wurden, 363 Juden Opfer des Euthanasieprogramms wurden: Jonny Moser, Österreichs Juden unter der NS-Herrschaft in: Emmerich Talos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer (Hrg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, Wien 1988 S 197
16Jonny Moser, Holocaust in Österreich in: Aurelius Freytag, Boris Marte, Thomas Stern (Hrg.) Geschichte und Verantwortung, Wien 1988 S 229
17Ausgangspunkt für diese Überlegung ist das Ergebnis der Volkszählung von 1934, als im Burgenland 3.632 Juden (1,2 % der Gesamtbevölkerung) lebten
18Das Projekt „Namentliche Erfassung der NS-Opfer des Burgenlandes“ wurde im Jubiläumsjahr 2008 vom Land Burgenland initiiert und in einer ersten Phase alle über öffentliche Träger verfügbaren Todesdaten der einzelnen Opfergruppen (jüdische Opfer, politische Opfer, Roma, Euthanasieopfer) verfügbar machen.